Tesla zeigt, dass wir Autos nicht mehr besitzen (müssen)

Update: Tesla reagiert

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Tesla zeigt, dass wir Autos nicht mehr besitzen (müssen)
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Über eine unglückliche Verkettung der Ereignisse hat ein Tesla-Kunde die Autopilot-Funktion seines frisch erstandenen Model S wieder verloren. Der Hersteller hatte die Funktion aus der Ferne abgeschaltet. Dieser Vorgang mag Aufsehen erregen, ist jedoch vollkommen legal und vertragsgerecht – und genau das macht ihn so zu einem Beispiel für die Zukunft, die Autobesitzern bevorsteht.

In der IT-Industrie nennt es sich "Software as a Service", oder kurz "SaaS": Der Kunde mietet oder kauft eine Lizenz und darf dann vorübergehend eine Software-Dienstleistung nutzen, die irgendwo in "der Cloud" bereit liegt. Sie sind uns bekannt als Microsoft Office 365, Slack, Google Docs und so weiter. In ihren langen, meist unverständlichen und oft sogar zum Teil illegalen Rechtstexten sind die Nutzungsrechte verklausuliert. Da steht dann oft auch drin, dass wir de facto keinen Anspruch darauf haben, dass diese Dienste zu unserer Verfügung stehen. Wir akzeptieren also, uns ihnen mitsamt ihren Unzulänglichkeiten, Bestimmungen und Preisen auszuliefern.

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Dass die Auto-Industrie Gefallen an diesem Modell gefunden hat, zeigt sich im jüngsten Beispiel aus den USA. Ein Kunde erstand ein Model S, das vom Händler mit aktiviertem Autopiloten-System verkauft wurde. Der Händler wiederum ersteigerte es in einer Tesla-Auktion, die mit retournierten Fahrzeugen routinemäßig stattfindet.

Der Haken: Das retournierte Fahrzeug hatte irrtümlicherweise das Autopiloten-Paket inklusive "Volles Potenzial für autonomes Fahren" aktiviert, das der Erstbesitzer jedoch gar nicht bestellt hatte. Diesen Irrtum bemerkte und behob Tesla aber erst, als es bereits beim heutigen Besitzer war. Da das 6.300 Euro teure Feature nie bezahlt wurde, hat Tesla es aus der Ferne deaktiviert. Auf Anfrage des erbosten Kunden beim Tesla-Service erhielt er neben der obigen Erklärung nur den Hinweis, dass er das Feature auch nachträglich kaufen könne. Tesla hat sich zu diesem Vorfall nicht öffentlich geäußert; vermutlich um die Rechte der involvierten Parteien zu achten. Aber wie steht es um unsere Rechte eigentlich?

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Stell Dir vor, ich sage: "Ich habe lecker Kekse gebacken!", und verrate Dir hinterher nicht, wo sie liegen. (Stefania Druga, Open-Hardware-Evangelist)

Das Abkommen zwischen Tesla und seinen Kunden ist klar geregelt. Wer zahlt, bekommt ein Produkt. Nur die Definition von "Produkt" hat sich geändert. Tesla-Fahrzeuge sind sowohl Auto als auch Plattform für neue Funktionen. Es ist ein wenig wie mit Spielkonsolen, die erst mit teuren Spielen oder Abos wirklich Spaß machen.

So sehr ich verstehe, dass Tesla die hohen Entwicklungskosten für den Autopiloten an den Kunden weitergeben muss, so sehr ärgert mich das Prinzip hinter der Umsetzung. Denn es zeigt, wie sehr Tesla-Käufer der Willkür des Herstellers ausgeliefert sind. Ein so agierender Hersteller (oder ein Hacker) hat in der Theorie vollen Fernzugriff auf Euer (in dem Fall rund 100.000 Euro teures) Fahrzeug und kann es eines Tages einfach abschalten (oder missbrauchen). Und wenn wir auf andere Elektronik-Produkte wie Smartphones blicken, wo dies schon heute der Fall ist, ist dieser Ausblick weder abwegig noch stimmt er mich hoffnungsvoll.

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Ich erkenne viele Szenarien an, in denen diese Kontrolle wünschenswert ist; etwa, wenn ich die Schlüssel verliere und wie eine verlorene Kreditkarte sperren lassen will oder wenn mein Fahrzeug (mit einem Abschleppfahrzeug) gestohlen wurde. Doch auch hier sehe ich Bedarf an einer weniger wirtschaftsliberalen Alternative.

Elektroautos sind die Zukunft. Sie zu besitzen, ist es nicht. / © NextPit

Freie Hardware für freie Bürger

Was wäre der Gegenentwurf, der Autobesitzer wieder zu echten Besitzern ihres Autos macht? In den USA kaufen reihenweise Farmer 40 Jahre alte Landmaschinen, um sie endlich wieder selbst reparieren zu können. Auch Oldtimer-Freunde gehen ihrem Hobby nach, weil sie nur so selbst Hand anlegen dürfen an ihren fahrbaren Spielzeugen.

Doch das kann nicht die Lösung sein. Zumal sie sich bei Elektronik viel schwieriger gestaltet; einer Kategorie, in der die Autoindustrie – selbst die ewig gestrige deutsche – nun vorgestoßen ist. Was wir brauchen, ist einen fahrbaren Raspberry Pi.

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Wir brauchen ein Auto-Projekt, das wir selbst warten, modifizieren und vor allem wirklich kontrollieren können – auch langfristig. Eines, das seine kompletten Schalt- und Baupläne lückenlos dokumentiert und zum Nachbauen und Verändern freigibt. Der Clou: Ein solches Open-Source-Auto gibt, beziehungsweise gab es.

Die als OSVehicle gestarteten Open Motors zeigten mit dem Tabby im Jahr 2013 auf der Maker Faire in Rom einen spannenden Ansatz. Auf ihrer Website gab es CAD-Pläne zum nachpressen des Chassis und Baupläne für das Fahrwerk zum Download. Man konnte eine Version mit Verbrennungs- und eine mit Elektromotor kaufen oder nachbauen. Doch seit 2017 hört man nichts mehr von ihnen und die Website – vor allem die wichtigen Pläne – sind offline.

Preiswerte Autopilot-Alternative wäre verfügbar

Auch Selbstfahr-Software gibt es frei für alle. iPhone- und PlayStation-Hacker Georg Geohot Hotz hat schon im Jahr 2016 seinen openpilot für alle freigegeben. Wenn Tesla-Käufer ihr Auto also wirklich besäßen, könnten sie statt der 6.300 Euro teuren Software des Herstellers einfach die mit 999 US-Dollar deutlich günstigere Open-Source-Alternative installieren und glücklich sein; ähnlich wie Besitzer eines Windows-Computers einfach Linux installieren können.

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Die Causa Tesla zeigt also, dass Fahrzeughersteller in Zukunft ein anderes Verhältnis zwischen Autofahrer und Fahrzeug voraussetzen. Ähnlich wie bei Software-as-a-Service wird nicht das Gerät, sondern die Lösung verkauft, die dieses Gerät bietet – in dem Fall Driving-as-a-Service. Tesla verlangt zu den rund 100.000 Euro Kaufpreis aber noch einmal 6.300 Euro für die (in Deutschland meist nur theoretische) Möglichkeit, bei der Fahrt die Hände vom Lenkrad zu nehmen.

Einfach mal ein Buch lesen beim Fahren? 6.300 Euro bitte! / © metamorworks / Shutterstock.com

Tesla will den "Besitzer" offenbar überwinden

Die Frage ist nur, ob Kunden langfristig bereit sind, die besagten 100.000 Euro für ein Fahrzeug auszugeben, das sie de facto nie richtig besitzen werden. Denn was passiert, wenn der Hersteller die Pforten schließt und keine Sicherheits-Updates mehr liefert? Dann würden Hacker immer mehr Sicherheitslücken finden, verbreiten, und sich schließlich an den ungeschützten Fahrzeugen vergreifen.

Vielleicht ist Tesla schon einen Schritt weiter und bereitet die Fahrzeuge auf eine Zukunft vor, in der sie nur für die Nutzungsdauer – also nur für wenige Minuten am Tag – gemietet werden. Ähnlich wie wir Software-as-a-Service auf beliebigen Computern nutzen, können wir dann in einen beliebigen Tesla einsteigen und die abonnierten Fahr-Features damit nutzen. Wir brauchen dafür bloß ein Tesla-Account, und das Fahrzeug tut all das, wofür wir gezahlt haben. Es kommt natürlich dank Autopilot pünktlich zu uns, wenn wir es brauchen.

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Das wäre gar nicht so wild, denn so ist niemand mehr darüber erbost, dass das Auto 23 Stunden ungenutzt für uns bereit- – und allen anderen nutzlos im Weg – stand. Und dann juckt es uns auch nicht mehr, wenn jemand es klaut.

Update: Tesla reagiert

Nachdem der Fall in den vergangenen Tagen mediale Aufmerksamkeit erlangt hatte, hat sich der Besitzer des Gebrauchtwagens in einem Forum zu Wort gemeldet. Demnach habe Tesla ihm bereits am Wochenende zugesichert, die fehlenden Funktionen wieder zugänglich zu machen. Im Tesla-Forum berichtete er gestern, dass alle zuvor entfernten Features in seinem Tesla wieder verfügbar seien. 

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