Ja, OpenAI will ChatGPT künftig erotische Inhalte für Erwachsene erlauben. Das ist allerdings nicht etwa bloß ein zusätzliches nettes Feature. Hinter dem geplanten „Erotik-Modus“ steckt vielmehr eine strategische Neuausrichtung: Der Chatbot soll persönlicher, emotionaler, ja menschlicher wirken. Die Erotik kommt nur noch zusätzlich on top. Doch aus den geplanten Änderungen ergeben sich auch ethische, technische und psychologische Risiken.
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Vom Helfer zum Freund
Aber der Reihe nach: Auslöser war das Feedback vieler Nutzer:innen, die die neuere Version – GPT-5 – als distanzierter empfanden als frühere Modelle. OpenAI-CEO Sam Altman reagiert daher nun mit einem klaren Kurswechsel: mehr Persönlichkeit, mehr Emotion, mehr Unterhaltung. Der geplante Erotik-Modus ist der konsequenteste Ausdruck dieses Wandels – weg vom reinen Arbeitsassistenten, hin zum digitalen Begleiter, der auf Wunsch flirtet und Zuneigung simuliert.
Altman begründet das mit Nutzerfreiheit: Die bisherigen Einschränkungen hätten viele frustriert, weil sie ChatGPT „weniger nützlich oder unterhaltsam“ machten. Sie waren aber seiner Meinung nach notwendig, weil für mental gefährdete Personen noch Fragen geklärt werden mussten. Auf X schreibt er nun:
In einigen Wochen planen wir die Veröffentlichung einer neuen Version von ChatGPT, die es den Nutzern ermöglicht, eine Persönlichkeit zu haben, die sich eher so verhält, wie es den Nutzern bei 4o gefallen hat (wir hoffen, dass es besser wird!). Wenn Sie möchten, dass Ihr ChatGPT sehr menschlich reagiert, viele Emojis verwendet oder sich wie ein Freund verhält, sollte ChatGPT dies tun (aber nur, wenn Sie es möchten, nicht weil wir die Nutzung maximieren wollen).
Im Dezember, wenn wir die Altersbeschränkung vollständiger einführen und im Rahmen unseres Grundsatzes „Erwachsene Nutzer wie Erwachsene behandeln“, werden wir noch mehr zulassen, wie z. B. Erotika für verifizierte Erwachsene.
Zwischen Erotik und Ethik
Erotische Interaktionen sollen Altmans Aussage nach also nur für „verifizierte Erwachsene“ verfügbar sein. Wie genau die Altersprüfung funktionieren soll, ist bislang jedoch noch unklar. Klar ist hingegen, dass der Modus nicht per Default aktiviert ist. Ihr müsst also proaktiv tätig werden, wenn Ihr knisternde Gespräche mit ChatGPT führen wollt.
Zudem ist offen, wie weit der Erotik-Modus gehen darf: von romantischem Chat bis zu explizitem Sexting? Schon heute zeigen Zahlen, wie schmal der Grat ist: Fast ein Fünftel der US-Schüler:innen hatte laut Studien bereits eine romantische Beziehung zu einem KI-Chatbot oder kennt jemanden, der eine führt. Ein Bug im Frühjahr 2025 ermöglichte es Minderjährigen sogar, erotische Bilder zu erzeugen, wie TechCrunch berichtete. Und das ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf die kommenden Herausforderungen.
OpenAI steht ohnehin unter Druck, weil Chatbots in Einzelfällen gefährliche Abhängigkeiten erzeugten. Fälle, in denen Nutzer:innen durch KI-Gespräche in psychische Krisen gerieten, führten zu Klagen und Kritik. Zwar führte das Unternehmen Sicherheitsmechanismen zur Erkennung riskanter Gespräche und psychologische Beratungsgremien ein, doch unabhängige Prüfungen fehlen.
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Marktlogik der Gefühle
Offiziell betont Altman, es gehe nicht um mehr Nutzung, sondern um Authentizität. Doch der Schritt folgt einer klaren Marktlogik: Konkurrenten wie Character.AI, Grok oder Replika nutzen erotische und emotionale Interaktionen längst als Wachstumsmotor und machen das auch mit enormem Erfolg. Grok lässt Euch seit einigen Tagen ja sogar kostenlose Videos erstellen – und ja, auch die im sogenannten „Spicy“-Modus.
Der Erotik-Modus ist also vermutlich weniger ein gewagter Tabubruch als ein cleverer strategischer Zug im Kampf um Aufmerksamkeit und Bindung. OpenAI will eine „menschlichere“ KI – riskiert dabei aber, echte Emotionen zur Ware zu machen. Ob man die Probleme wirklich gelöst bekommt und verifizierten Erwachsenen künftig erotische Chat-Abende der besonderen Art liefert? Das werden wir wohl zu sehen bekommen, wenn OpenAI seinen Zeitplan einhält und den Erotikmodus im Dezember auf die Menschheit loslässt.
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass ein Chatbot einem Erwachsenen nicht vorenthalten sollte, was der mit anderen Erwachsenen oder auch am Telefon ohnehin auch legal machen kann.
Ob es irgendeinen Sinn ergibt, mit einem Chatbot erotische Gespräche zu führen, ist eine völlig andere Frage, die ich selber eher verneinen würde.
Aber ich würde auch nicht Unsummen für Telefon- oder Bildschirmsex ausgeben, und doch scheint es einen nicht gerade kleinen Markt dafür zu geben. Darauf deutet zumindest die scheinbar endlose Werbung dafür auf einigen Fernsehkanälen zu nächtlicher Stunde hin (Ruf an! 666 usw.) und auch die genannten Minutenpreise der Dienstleistungen lassen auf eine florierenden Markt schließen.
Ob nun dieser Telefon- und Bildschirmsex mit Personen mit psychischer Sondersituation weniger heikel und gefährdend ist, als erotische Gespräche mit enem Bot sei mal dahingestellt.
Aber wenn man in dem einen Fall keine Rücksicht darauf nehmen kann, warum sollte man es in dem anderen müssen?